Leben, um zu schreiben?

4. März 2014 at 12:19

In meinem Buch über das Tagebuchschreiben schrieb ich auch ein Kapitel über die negativen möglichen Begleiterscheinungen beim Führen eines Tagebuchs.  Ja, bei aller Begeisterung: Auch die gibt es. Daran musste ich heute wieder denken, als ich den neuesten Blog-Eintrag von Meike Winnemuth las. Dazu weiter unten.

Ich schrieb in meinem Buch:

„Tagebuchschreiben kann … dann fragwürdig werden, wenn Sie bei allem, was Sie erleben, sozusagen dabeistehen und in Gedanken notieren, wie Sie das in Ihrem Tagebuch berichten würden. Sie erleben alles sozusagen druckreif. …

Während einer Umbruchphase in jüngeren Jahren, in der ich alles sehr intensiv erlebte, hatte ich diese schlechte Angewohnheit – ähnlich wie ein Urlauber, der alles nicht mehr direkt erlebt, sondern nur noch durch das Objektiv seiner Kamera schaut. Das hieß in meinem Fall auch: Ich ließ mich gar nicht mehr auf Menschen und Situationen ein, war in Gedanken immer schon auf einer anderen Ebene und entzog mich dem, was im Moment geschah. Anschließend berauschte ich mich am Schreiben und Beschreiben, fand alles ganz furchtbar interessant und ging meinen armen Freunden auf die Nerven.

Wenn Sie nur noch leben, um interessante Erfahrungen für Ihr Tagebuch machen, leben Sie an sich selbst vorbei. Zwanghaftes Beobachten, zwanghaftes Festhalten tötet die Dynamik, die zum Leben notwendig ist bei uns selbst und bei den Menschen, mit denen wir leben. Ob Tagebuchschreiben hilfreich oder schädlich ist, hängt also einzig und allein von der Balance ab. Es liegt in Ihrer Verantwortung sich selbst und anderen Menschen gegenüber, mit diesem Werkzeug für ein intensiveres Leben gut umzugehen.“ (Kreativ leben mit dem Tagebuch, S. 69/70)

Leben Schreiben m.W.

Ähnliches gilt auch für das Blogschreiben. Das Schreiben eines Blogs kann zwar zu mehr Aufmerksamkeit im Alltag führen, aber es kann auch zum Leben mit permanentem Seitenblick auf Blog-Verwurstbarkeit führen.

Weil ich mir dieser Gefahr bewusst bin, werden Sie in meinem Blog auch immer wieder längere Pausen finden. Ich mag nicht nur für mein Blog leben, und ich mag auch Begegnungen mit Menschen nicht täglich im Blog verarbeiten. (Ich glaube, dann hätte keine(r) aus meinem Freundeskreis noch Interesse an Kontakt mit mir)

Die Journalistin Meike Winnemuth ist in diesem Jahr auf Reisen in Deutschland, jeden Monat in einem anderen Ort. Und wie schon bei ihrer Weltreise plante sie, auch über diese Reise in ihrem Blog zu berichten. Ausgerechnet auf der Insel Spiekeroog mit weniger als tausend Einwohnern machte sie nun Erfahrungen, die sie veranlassten, das beobachtende Schreiben vorerst ruhen zu lassen:

„Was ich schreibe, hat sofortigen Rückkoppelungseffekt auf das Beschriebene, das Beobachten verändert das Beobachtete. Und deshalb werde ich stumm und immer stummer. Oder auch scheu und immer scheuer. Mal eben in das Leben anderer hineinzuschlendern, von ihnen zu erzählen und sie quasi zu Statisten meines Projekts zu machen – mit welchem Recht denn bitte? Gerade auf Spiekeroog, das ich in den vergangenen vier Wochen sehr lieb gewonnen habe, erscheint mir mein Tun plötzlich mächtig ungezogen. Die Leute hier haben mir freundlich die Türen geöffnet (die ja ohnehin nie abgeschlossen sind, auch das sagt viel über Spiekeroog), da gehört es sich nicht, sie vor meine innere Kamera zu zerren. Lieber bei der tollen Tante Fidi oder den so enorm liebenswerten Schröders Tee trinken und Kekse essen und dann nichts schreiben als deren Vertrauen zu missbrauchen. Ich mag auf der Suche nach meiner Heimat keine Heimsuchung sein. Und deshalb mache ich an dieser Stelle Schluss. Es tut mir von Herzen leid, aber ich werde vorerst nicht mehr bloggen. Leben ist wichtiger als Schreiben, habe ich beschlossen.“ (http://zurueckauflos.com/heimsuchung/)

So sehr ich Meikes Entschluss bedaure – ich lese ihr Blog sehr gerne – ich habe großen Respekt vor ihrem Entschluss. Immerhin ist sie Journalistin, und Schreiben ist ihr Beruf.

So wünsche ich ihr und Ihnen und uns Schreiberinnen, dass wir das Leben einfach so genießen können und nicht vor lauter Beobachten auf zu vielen Ebenen gleichzeitig leben.

 

Werbung

Entry filed under: 2014, Alltag, Schreiben. Tags: , , , , .

Wir sind alle Ausländer Inklusion zum Frühlingsanfang


Bücher Elisabeth Mardorf

Richtungswechsel Ebook und Taschenbuch

Tagebuch

Zufall/ Synchronizität

Das kann doch kein Zufall sein - als Taschenbuch und jetzt als Ebook

Spaziergang als TaBu

Auch ein schönes Geschenk!
März 2014
M D M D F S S
 12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
31  

Archiv